„Erkennen Sie die Melodie?“
Früher gab es mal eine Fernsehsendung die so hieß, da erkannte man nach dem kurzen Einspielern alleine am Bühnenbild bzw. an den Kostümen die Oper – das wäre heute ausgeschlossen!
Wenn das stimmt, dass inzwischen 98 % aller Opern übermodern inszeniert werden, verabschiede ich mich mit großem Bedauern aus dem Theater, da ich es einfach nicht mehr ertragen kann, wenn man ein Werk so brutal verunstaltet, dass man die Oper selbst kaum noch erkennt.
So musste ich mir in Berlin eine „Traviata“ im Domina-Outfit ansehen, Vater Germont agierte mit Pferdefuss und war dem Suff verfallen. Die „Aida“ in Wiesbaden kam ohne das inzwischen unverzichtbare Quentchen Drittes Reich nicht aus – der siegreiche Feldherr Radames wurde unter den Klängen des berühmten Triumphmarsches auf einem Handkarren vorbeigezogen. Der „Freischütz“ im Stadttheater Gießen spielte im Irrenhaus und erinnerte mich zeitweise an einen Horrorfilm. Und schon 1981 schickte Hans Neuenfels seine „Aida“ als Putzfrau auf die Bühne; wenige Jahre später traten die gefangenen Äthiopier aus der gleichnamigen Oper in der orangefarbenen Kleidung als Guantánamo-Häftlinge auf. Oder „Giovanni“ im Kühlhaus und der „Tannhäuser“ in der Biogasanlage usw. usw. – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Vieles ist am Rande des guten Geschmacks – kaum eine Inszenierung verzichtet heutzutage auf „Sex und Crime“.
Was ich überhaupt nicht verstehen kann: von den Kritikern werden solche Aufführungen zumeist auch noch hochgelobt. Die heutigen Regisseure und Bühnenbildner wollen wohl um jeden Preis provozieren und übertreiben um Schlagzeilen zu machen, um interessant und nicht angestaubt zu wirken. Angeblich gibt es kein Zurück zur klassischen Oper. Ein Figaro, eine Aida oder Fidelio im historischen Gewand – das wirke heute nur schlecht verkleidet und allemal unzeitgemäß – heißt es.
Aber warum soll es kein zurück mehr geben zur traditionellen werktreuen Inszenierung? Die Nachfrage danach ist doch da, sogar bei den jungen Leuten. Der dramatische Zuschauerschwund in den Opernhäusern müsste zu denken geben! So guckt manch einer ja auch zum tausendsten Mal eine Castingshow auf einem Privatsender im Fernsehen, manche gehen eben zum tausendsten Mal in die Oper.
Was mich betrifft: Ich will in erster Linie gute Musik hören. Und ich will nach einer Opernvorstellung nicht Gedankenversunken, verwirrt und irritiert nach Hause schleichen und mich ständig fragen, was der Regisseur nun damit gemeint haben könnte. Beim Schauspiel mag das ja angehen. Doch bei der Oper muss ich das nicht haben!
Gisela Schmiedel, Staufenberg